Nicht, was die Gesellschaft vom heranwachsenden Menschen fordert, ist entscheidend, sondern was der werdende Mensch der Gesellschaft in Freiheit und Liebe geben kann.

Mensch werden ist eine Kunst

Steiner nennt seine Pädagogik eine „Erziehungskunst“. Der Künstler geht beim Schaffen nicht nur von einer vorher gefassten Idee aus, die er dann realisiert. Er lässt seine Phantasie vor allem durch das anregen, was er beim unmittelbaren künstlerischen Gestalten erlebt. Dabei wird er durch das angeregt, was er am Material, welches er bearbeitet, wahrnimmt. Dieses Verhältnis sieht Steiner auch beim Pädagogen als eigentlich wirksames Erziehungsprinzip. Aller Stoff und alle wissenschaftliche Methode sind im Sinne der Waldorfpädagogik künstlerisches Gestaltungsmittel, um beim einzelnen Kind, je nach Altersstufe, individuelle und generelle Entwicklungen zu fördern. Es kommt also nicht nur darauf an, dass das Kind in einem bestimmten Alter etwas in seinem Gedächtnis aufbewahren kann. Vielmehr werden im Umgang mit Inhalt, Stoff und Methode Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten erworben, geübt und entwickelt.

Individuelle Entwicklung braucht ihr Maß an Zeit

Die individuelle Entwicklung verläuft mit unterschiedlicher Dynamik. Es gibt keine normierbare Entwicklungsgeschwindigkeit. Das Vertrauen auf die im Kinde schlummernden Entwicklungskräfte hat in der Waldorfpädagogik Vorrang vor einer normierenden Betrachtungsweise, welche das Sitzenbleiben zur Folge hat. Zudem üben die gegenseitige Wahrnehmung und der positive Umgang mit unterschiedlichen Entwicklungen die sozialen Fähigkeiten der Kinder.

Zeiträume – zum Epochenunterricht

Der in fixierte Zeiten eingeteilte Stundenplan sieht von den Unterrichtsinhalten vollkommen ab. Diese abstrakte und willkürliche Zeitstruktur hat mit einem lebendigen Rhythmus kaum etwas zu tun. Nach wie vor ist das Leben des Menschen jedoch von rhythmischen Prozessen bestimmt und getragen. Erddrehung und Erdumlauf um die Sonne sind uns schon so selbstverständlich geworden, dass wir ihre eingreifende und lebenserhaltende Wirkung kaum noch als Anregung wahrnehmen, über den belebenden Sinn von Rhythmus nachzudenken. Für die Entwicklung des Kindes und das übende Lernen und Bilden von Fähigkeiten spielen Rhythmen in der Waldorfpädagogik eine wichtige Rolle. Einer dieser Rhythmen ist der Unterricht in Epochen. Diese folgen dem Monatsrhythmus. Während der ersten zwei Schulstunden des Tages wird über den Zeitraum von ungefähr vier Wochen täglich ein Gebiet erarbeitet. Dadurch kann sich das Kind in eine Sache wirklich einleben und der Unterrichtsstoff entwickelt sich für sein Erleben von Tag zu Tag in einem überschaubaren Zusammenhang.