Zur Bauentwicklung der Waldorfschule in Ostholstein

von Benno Baumanns (zuerst erschienen in der Festschrift zum 25. Jubiläum der Waldorfschule in Ostholstein)

Was ist eine Schule ohne ein Schulhaus?

Eltern verbinden mit dem Gedanken an Schule immer auch den Gedanken an ein Schulhaus und den Ort, an dem es steht. Nicht anders die Mitglieder der Gründungsinitiative der Waldorfschule in Ostholstein. Für sie war diese Frage zunächst nicht die nach einem passenden Gebäude, sondern tatsächlich die nach dem Ort, an welchem die Schule ihr zukünftiges zu Hause finden wollte.

Lensahn liegt in der Mitte

Die Schule sollte für möglichst viele Menschen erreichbar sein. Aus eben diesem Grund entschied sich der Verein zur Förderung der Pädagogik Rudolf Steines letztlich für Lensahn. Ausschlaggebend war die Mittelpunktslage in Ostholstein, auch wenn dieser Ort wesentlich kleiner war als die umliegenden Orte. In Neustadt, Oldenburg und Eutin waren bereits länger Waldorfkindergärten ansässig und alle hatten Anteil an der Entstehung der Schule, doch Standort sollte keiner davon werden. Die Infrastruktur sprach für den kleinen Ort Lensahn. Das Straßennetz und die Wege der öffentlichen Verkehrsmittel zwischen den drei genannten größeren Orten führen alle durch Lensahn. Heute gibt es in Lensahn sogar einen Bahnhof, den mancher Schüler nutzt.

Am Mühlenteich

Mit dieser Entscheidung gab es aber noch kein Gebäude, keine Räumlichkeiten. Verschiedene Optionen wurden geprüft und wieder verworfen. Bot sich ein Objekt an, welches außerhalb von Lensahn lag, flammte die Diskussion um den Standort wieder auf, doch die Entscheidung hatte Bestand und schließlich deutete sich die Möglichkeit an, Schulräume, unmittelbar am Mühlenteich gelegen, herzurichten. Ein älterer Pavillon, der bislang von einer Näherei genutzt wurde, bot Platz für drei Klassen. Dieser Raum wurde erworben und die ebenfalls zuvor von der Näherei genutzten Räume in einem Flügel eines älteren Gesamtensembles konnten angemietet werden.

Umbau und Finanzen

Doch ehe der Schulbetrieb im September 1992 aufgenommen wurde, waren erhebliche Umbauarbeiten erforderlich. Eine sehr aktive Elterngruppe, der Baukreis, plante und leitete mit großem Einsatz den Umbau. Die Eltern der einzuschulenden zwei Klassen waren tatkräftig beteiligt. Ihr größtes Kapital war die eigene Arbeitskraft. Daneben aber entstanden Leih- und Schenkungsgemeinschaften, die Geld von der GLS-Bank erbaten. Immerhin mussten in den ersten drei Jahren alle Kosten, Gebäude- ebenso wie Sach- und Personalkosten finanziert werden, da es für diesen Zeitraum keine Landeszuschüsse gab.

Eltern planen und bauen die Schule

Im ersten Abschnitt wurden die Räume des Altbaus für den Schulbetrieb in Stand gesetzt. Durch das Einreißen einer tragenden Wand und das ersatzweise Einsetzen eines Leimbinders wurde der erste Eurythmieraum geschaffen. Dieser bot auch vielen anderen Bedürfnissen der entstehenden Schule eine Hülle. Monatsfeiern und Weihnachtsspiele, Mitgliederversammlungen aber auch Elternseminare und Schüleraufnahmen fanden hier statt. Daneben wurden zwei Klassenräume im Altbau, Toiletten und die erforderlichen Räume für ein Sekretariat sowie für die Arbeit der Konferenz eingerichtet. Eine Klasse bezog das ehemalige Gefängnis der ursprünglichen königlich-herzoglichen Amtsverwaltung. Ein Jahr später wurden im Pavillon Trennwände gesetzt, ein Laubengang vor die lange Seite des Gebäudes angebaut, aus dem weitere drei Klassenräume erschlossen werden konnten. Wieder wurde überwiegend von Eltern gezimmert, gemauert, getischlert und gemalt. Ein nächster Schritt folgte wiederum ein Jahr später und zwei weitere Klassenräume entstanden zur anderen Seite des Laubengangs gelegen. Waren es zu Beginn die Eltern allein, beteiligten sich die Lehrer mehr und mehr an den Überlegungen zur Bauentwicklung. Der Baukreis beschäftigte sich nun auch mit der Frage eines endgültigen Standortes für eine voll ausgebaute Schule. Neben Überlegungen zur Nutzung des bisherigen Standortes durch weitere Bauten wurde alternativ auch ein geeignetes Baugrundstück in der Gemeinde Lensahn gesucht. Die Gemeinde selbst bot schließlich ein knapp vier Hektar großes, unerschlossenes Wiesenstück an. Die Größe und die sehr günstigen Konditionen, die auch die erforderliche Änderung des Flächennutzungs- und Bebauungsplanes umfassten, erschienen sehr attraktiv. Nach zahlreichen Vorüberlegungen, auch widerstreitenden Bewegungen, fiel letztendlich in einer Mitgliederversammlung der Beschluss zum Kauf des Grundstücks und später auch der Baubeschluss.
Dies war auch die Phase, in der eine bis dahin mehr oder minder ehrenamtliche Geschäftsführung von einem hauptamtlichen Geschäftsführer abgelöst wurde. Einen Schulbau mit all seinen Teilaspekten zu planen und zu realisieren erschien anders nicht möglich.

Der Neubau

Wie aber sollte ein zukünftiger Schulbaukomplex gestaltet sein?
Während eines sehr intensiven Wochenendes entstand in freiem Plastizieren nahezu einmütig die Idee eines um einen Dorfplatz als Mittelpunkt angeordneten Schuldorfes. Die Gesamtplanung des Architekten, die inzwischen nahezu realisiert ist, sah altersspezifische Klassenhäuser auf der einen Seite (Unterstufe, Mittelstufe, Oberstufe), Werkhäuser (Metall, Holz, Gartenbau, Malen, Plastizieren) auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes vor. Zwei Fachhäuser wurden zwischen den Klassenhäusern platziert, eines für Naturwissenschaften (Biologie, Physik, Chemie, 13. Klasse begleitet von Räumen für künstlerisch-handwerklichen Unterricht), ein weiteres für Musik, Eurythmie und Theater. Eine eigene Turnhalle, auf die bislang verzichtet werden musste, mit einem angehängten Konferenz- und Verwaltungsbau begleitet den Weg von dem am Rande des Schuldorfes liegenden Parkplatz zum Dorfplatz. Dieser Weg ist noch ein Stück länger durch ein Doppelhaus, das einerseits dem im vierten Jahr der Schule entstandenen Schul-Circus Tortellini ein zu Hause geben sollte und andererseits als Hausmeisterhaus (jetzt Hort) angedacht war. Autos sollten bewusst außen vor bleiben; Schüler und Lehrer sollten, zumindest symbolisch, einen möglichst weiten Fußweg in das Dorf hinein haben. Schule wurde als Lebensort gedacht und insofern wurde ein Speisehaus eingeplant und fand seinen Platz in unmittelbarer Nachbarschaft zum großen Schulgarten. Dessen Felder, ca. 5.000 m², sollten am Dorfrand zu finden sein. Gestaltung und Anpflanzungen des Außengeländes wurden von Eltern und Lehrern mit Hilfe einer Landschaftsarchitektin als Gliederung, Windschutz und Abgrenzung im Dienst der Artenvielfalt und ökologischen Aufwertung geplant. Das bislang landwirtschaftlich genutzte Gelände mit hoch anstehendem Grundwasser erhielt eine Knickanlage von etwa 800 Metern Länge, sowie einen Schulwald. Beides wurde später mit Hilfe eines Försters und der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald realisiert. Die Entwässerung wurde als oberflächliche Rigolenentwässerung mit einem Auffangbecken geplant, um den Gegebenheiten eines begrenzten Vorfluters durch Versickerung entgegenzuwirken. Der Aushub der errichteten Gebäude wurde am Ende des Dorfes gelagert. Er ist ebendort Platzhalter für einen vom Architekten bereits in seiner Grundgestalt entworfenen großen Festsaal, einem Versammlungsort für das ganze Dorf als Schulgemeinschaft. Neben einem dritten Werkstattgebäude ist dies das einzige Gebäude, welches in den bisherigen vier Bauabschnitten noch nicht verwirklicht ist.

Fördern und Helfen

Dass dieses große Gesamtvorhaben umgesetzt werden konnte, ist vielen Menschen zu danken:
Da gab es denjenigen, dem es gelang, das Geld, von dem er meinte, dass es auf der Straße läge und man es „nur“ aufheben müsse, tatsächlich aufzuheben. Er warb erhebliche Fördermittel des Landes Schleswig-Holstein und der Software-AG-Stiftung ein. Es gelang das erste Passiv-Energie-Schulhaus in Schleswig-Holstein zu bauen und dafür Fördermittel zu erlangen. Durch die Nutzung von Fördermitteln des Bundes, entstand im dritten Bauabschnitt die Möglichkeit, das Speisehaus zu bauen. Da gab es die Muskelhypothek der gewachsenen Elternschaft, die schon am alten Standort so vieles möglich gemacht hatte und die nicht zuletzt im Sozialen eine überaus positive Wirkung hatte. 30 Arbeitsstunden je Elternhaus, anders ausgedrückt: mehr als 3.500 Arbeitsstunden, wurden im Wesentlichen von einem eng verbundenen Freund der Schule organisiert und gemanagt. Wesentliche Impulse und tatkräftige Umsetzung der Farbgestaltung der Fassaden und vor allem den Innenräumen sind dem Farbkreis und seinen Helferinnen zu verdanken.
Eine sehr enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Architekt, Geschäftsführer, Lehrervertreter und Generalunternehmer sicherte eine zügige Bauabwicklung und die Einhaltung des jeweiligen Kostenrahmens.

Die äußere Hülle der Architektur, die in Lensahn sehr stark durch das Zusammenwirken vieler Menschen entstand, ist die Schutz gebende Haut für das eigentliche Geschehen der Pädagogik in der Menschenbegegnung.